Disco und Gedichte

Als ich ungefähr 13 war, holte meine große Schwester einmal ein Heft hervor, in denen Gedichte standen, die sie und Freunde von ihr verfasst hatten. Diese Gedichte waren ganz anders als die aus den Schulbüchern, sie reimten sich nicht und waren eher aus dem Leben gegriffen, da z.B. manchmal spät nachts auf einer Party entstanden. Auch kleine Gemeinheiten waren dabei, die Leuten gewidmet waren, die die Verfasser nervten.

Ich fand das toll und besorgte mir auch so ein Heft, um meine Gedanken endlich in eine ausdrucksvollere Form zu bringen.
Das brachte mich auch eines Tages nach Ravensburg zum Literaturmeeting, ich glaube ich war 18. Es waren andere nette Leute da, wir übernachteten in einer Jugendherberge und hatten unseren Spaß. Ich erinnere mich auch noch sehr deutlich an den Kommentar eines Radiomoderators: „Andere Leute gehen in die Disco, ihr schreibt Gedichte…“, setzte er an, wurde aber sofort unterbrochen und über die Absurdität seinerAnnahme, dass sich das ausschließt, aufgeklärt.  Am Abend legten wir dann einen ziemlich langen Fußweg zurück, um die Disco zu erreichen.

Mit dem Älterwerden entwickelte ich dann aber langsam eine gewisse Distanz zum „Dichten“. Es gilt ja schon irgendwie als etwas unzeitgemäß, lebensfern oder als extreme Nischenkultur.
Aber manche meiner Texte, die für mich  eher erzählerisch (und Fließtext!) sind, werden von anderen sowieso als Lyrik bezeichne werden, weil der Inhalt nicht linear oder ein wenig abstrakt ist… Sowieso egal. Alles ist erlaubt.

Hier also ein Text, der einerseits als Gedicht bezeichnet wurde, andererseits aber angeblich „prosaisch“ daher kommt:

Insel

Die Scherben sind vom Wasser stumpf geworden.
Sonst hat sich kaum etwas verändert.
Wenn man nicht zurück schaut. Und nicht nach vorn.

Im Wind weht ein Band in der Luft herum.
Ein Tanz, der mit der Heftigkeit der Wellen willenlos wird.
Der Rhythmus bleibt zurück als Zittern, der Sand als Nebel, die Sicht zerstäubt.
Linien unter den Füßen. Punkte, die sich treffen.
Unsichtbar gegangene Wege, verwischte Spuren.

„Damals waren wir frei wie der Wind“.
Sagt sie und schaut in ein Jahrhundert, das kaum noch greifbar ist.
Tag für Tag, die Füße im Wasser, Namen in den Sand geschrieben.
Die Gräser, das Rauschen, sonst nichts. Nicht weniger.

Erst später holte das Leben die Unbeschwertheit ein. Ein dumpfes Grollen aus der Ferne. Glückliche Tage, die im Sand verrieselten. Schreie, wenn die Welle sich überschlug.

Der Schaum, der Horizont. Nichts anderes bleibt.

Und nichts anderes will sie mehr sehen.
Nichts als den blauen Streifen, der Wasser und Himmel trennt.
Nichts mehr, nur das. Die Zeit anhalten.
Erinnerungen aus Schwarzweiß-Fotos in Farbe tauchen.
Verschwundene Fußspuren, verhallte Worte.

Doch die Insel ist noch immer nicht weit. Als könnte man schwimmen.
Ein anderer sein. Die Zeit hat keine Richtung.

Endloses Auf und Ab. Ein Kommen und Gehen, ewige Wiederholung.
Mit der Luft die man schmecken kann. Der versteckten Stille.
Und einer Ehrlichkeit, die weh tut.

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